Franziskus von Assisi und die Anfänge des Franziskanerordens
Bei der genaueren Beschäftigung mit dem Leben und Wirken des Franz von Assisi und seinen geistigen Ansichten wird schnell klar: Auch wenn es viele Zeugnisse gibt – nur wenige Personen des Altertums und Mittelalters sind so gut dokumentiert wie Franziskus –, bedeutet das nicht, dass wir ein klares Bild von Franziskus und seinem Leben haben. Denn viele Berichte seines Handelns und Wirkens wurden von Kirchen- und Ordensleitungen verfasst und damit aus einer bestimmten Perspektive und mit einer genauen Intention eingefärbt.
Die hagiographischen Quellen – das sind Texte, die sich mit dem Leben und den Wundern von Heiligen befassen – zeichnen ein ganz bestimmtes Bild von Franziskus: als kirchenkonformen und „richtig“ Glaubenden der katholischen Kirche. Das ist darauf zurückzuführen, dass im 12. Jahrhundert, der Lebzeit des Franziskus, zunehmend Kritik an der Institution Kirche und ihren Lehren und Grundsätzen aufkam. Das war eng verbunden mit den Entwicklungen in Mittelitalien um 1200. Kernaspekte dieser Kritik waren Reichtum und Ämterhierarchie der Kirche, die für die Kritiker im starken Kontrast zum armen und barmherzigen Leben Jesu und der Apostel standen (vita evangelica et apostolica). Deshalb distanzierten sich in dieser Zeit viele Gläubige von der Kirche und organisierten sich in religiösen Gemeinschaften, um Glaube nach ihren Ansichten gestalten zu können.
In den Quellen wurde entweder ein geformtes Bild von Franziskus gezeichnet, oder aber wichtige Informationen wurden in umschreibender oder verhüllender Weise wiedergegeben, was durchaus zu Schwierigkeiten in der Interpretation führt. Vor diesem Hintergrund wollen wir dennoch einen Blick auf das Leben von Franziskus und die Anfänge der franziskanischen Bewegung werfen.
Franziskus wurde Ende des Jahres 1181 oder Anfang des Jahres 1182 als Sohn des sehr reichen Tuchhändlers Pietro di Bernardone in Assisi geboren. Sein eigentlicher Name war Johannes Baptista, den Namen Francesco erhielt er als Beinamen von seinem Vater. Franziskus lernte Lesen und Schreiben und verbrachte durch die großzügigen finanziellen Mittel seines Vaters eine ausgelassene Kindheit und Jugend. Dennoch wurde er in dieser Zeit von zwei Ereignissen entscheidend und lebenslang geprägt: Zum einen geriet er nach einer Niederlage Assisis gegen die Stadt Perugia in eine einjährige Gefangenschaft, zum anderen war er kurz nach seiner Gefangenschaft für längere Zeit schwer krank. Die Folgen spürte er sein gesamtes Leben lang.
Später sagte er sich von seinem Vater los, verzichtete auf sein Erbe und materielle Güter, um das Leben vollkommen seinem Glauben widmen zu können. Er lebte in freiwilliger Armut. Mit 22 Jahren hatte Franziskus seine ersten „Bekehrungen“, also geistliche Erlebnisse und Visionen, die ihn so sehr prägten, dass er mit seinen bisherigen Lebensverhältnissen brach. Die bedeutsamste unter diesen Visionen ist die des Kruzifixes von San Damiano. So soll Franziskus im Jahr 1206 die unterhalb von Assisi gelegene Kirche aufgesucht haben, um vor dem Kreuz zu beten. Da soll das Kruzifix zu ihm die folgenden Worte gesagt haben: „Franziskus, geh’ und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät“. Zunächst verstand Franziskus diese Worte wörtlich und begann den Wiederaufbau der Ruine. Später allerdings sah er in den Worten einen tieferen Sinn und erkannte seine Aufgabe in der Erneuerung der christlichen Gesellschaft seiner Zeit. Dabei waren ihm Jesus Christus und dessen Jünger Vorbild für seine eigene Lebensweise: Er legte Schuhe, Stab und Beutel ab, tauschte seine Kutte gegen eine andere aus gröberem Stoff und band sich statt des Gürtels einen Strick um die Hüfte.
Seinen Auftrag sah er darin, seinen Glauben in die Welt zu tragen und mit anderen Menschen zu teilen. Die ersten Menschen, die von seiner Idee fasziniert waren und sich Franziskus anschlossen, waren Bernhard von Quintavalle und Petrus Catanii, zwei wohlhabende Bürger der Stadt Assisi. Zu dritt legten sie die ersten Grundregeln und Formeln ihrer Bruderschaft fest, die sie im Frühjahr 1209 beim Papst Innozenz III. zur Genehmigung vorlegten. Im Jahr 1223 wurde die endgültige Ordensregel verfasst und von Papst Honorius III. offiziell bestätigt – sie hat bis heute Gültigkeit.
ein Text von Dorothea Winter, Jg. 13